Content Warning: Gleich geht es nicht um Technik, Musik oder MIDI, sondern um geistige Gesundheit, Trauer, Tod und Angst. Nichts überdimensional Wildes – Dinge, die das Leben so mit sich bringt, aber wenn Du empfindlich bei solchen Themen bist, lies diesen Post einfach nicht weiter.
Irgendwann, so Mitte 2021, habe ich meine Timeline bei Twitter durchgeschaut und dabei ist mir ein Tweet besonders ins Auge gesprungen: “Seit 2015 geht’s bei mir bergab”. Und dann sind mir ein paar Sachen schlagartig klar geworden:
Frühling 2018: Meine Mutter ist nach circa 4 Jahren aggressivster Demenz gestorben.
Beruflich is’ es relativ nervig. Es gibt eine Kollegin, die mich so wahnsinnig macht, dass es ihr und mir den Tag zur Hölle macht. Viel davon nehme ich mit nach hause, obwohl das immer ein absolutes Tabu für mich war.
Herbst 2018: Ich habe einen neuen Job angefangen, der mich eine lange Zeit maßlos genervt, gelangweilt und gestresst hat. Ich habe den neuen Job, die Firma und alles drumherum gehasst.
Winter 2018: Nach fast 10 Jahren geht meine Beziehung in die Brüche.
Anfang 2019 sage ich im Scherz zu Freunden, dass es Leute gibt, die weniger brauchen, um aus dem Fenster zu springen. Mir wird plötzlich bewußt, wie sehr ich damit recht habe. Es fällt mir ein, dass bereits 3 Leute aus meine Bekanntenkreis versucht haben, sich ein Ende zu setzen. Einer hat’s geschafft. Wegen weniger.
Im Frühjahr 2019 lerne ich meine jetzige Frau kennen, alles wird ein wenig gut.
Ende 2021: Ich habe im Streit den Kontakt zu meinem Vater abgebrochen.
Weihnachten 2021 kommt eine Karte von meinem Vater. Ich lese sie nicht. Ich bitte meine Freundin, die Karte vor mir zu verstecken. Am Ende werde ich 1,5 Jahre benötigen, die Karte zu öffnen und zu lesen.
Anfang 2022: Ziemlich genau 2 Monate, nachdem ich den Kontakt zu ihm abgebrochen habe, stirbt mein Vater bei einem Zusammenstoß seines Autos mit einem LKW. Die Umstände lassen mich davon ausgehen, dass es kein Unfall war. Die Frage, inwieweit mein Verhalten dazu beigetragen hat, werde ich mir wohl noch ein paar Jahre lang stellen können.
Vier Wochen später wird unser Sohn geboren.
Wir ziehen 3 Monate später in das Haus ein, das wir im letzten Jahr gebaut haben.
Es braucht ein Jahr, um alle Erbangelegenheiten zu klären. Bislang habe ich Trauer noch nicht zugelassen (“später, wenn der Papierkram fertig ist”). Klappt so halb. Es gibt Momente, in denen ich von jetzt auf gleich nicht mehr ansprechbar bin. Jede kleinste Abweichung vom erwarteten Alltag bringt mich aus dem Konzept. Aufstehen, arbeiten, … alles nicht ganz so einfach. Nachdenken über das, was da passiert ist, geht nur oberflächlich, wenn überhaupt. Jedes “Wie geht’s Dir gerade?” bringt mich an den Rand dessen, was ich ertragen kann. Bloß keine Ruhe. Immer läuft irgendein Podcast, Musik oder sonst etwas.
An den Erbangelegenheiten zerbricht der Kontakt zu meiner angeblichen Halbschwester. Mein Bedauern darüber hält sich in Grenzen, meine Wut hingegen ist grenzenlos. Wenn ich alleine bin verliere ich oft die Kontrolle. Der Kontakt zu anderen Familienmitgliedern, Onkeln, Tanten, etc. war eh nie wirklich vorhanden. Bei unserer Hochzeit wird später niemand aus meiner Familie dabei sein.
Am 23.12.2022 sitze ich auf dem Boden in unserer Küche und habe einen Nervenzusammenbruch.
Es geht nichts mehr.
Es braucht 3 Anläufe, bis ich mich traue, meinem Hausarzt zu sagen, dass es mir ‘mental irgendwie nicht so gut’ geht. Seine Reaktion überrascht mich gleichzeitig massiv und doch irgendwie gar nicht: “Kein Problem, hier haben Sie eine Überweisung. Der Code an der Seite sagt, dass es dringend ist. Es ist nicht einfach, Hilfe zu finden, aber die 116 117 ist immer noch der beste Anfang”. Danach beginnt das Telefonieren. Psychologen haben teilweise Wartelisten für Wartelisten. Ich weiß nicht mehr genau, aber etwa 5 Monate später habe ich einen regelmäßigen Termin. Zunächst in einer Gesprächsgruppe, dann regelmäßige Einzelgespräche mit einer Therapeutin.
Die Termine bei der Therapeutin sehe ich anfangs sehr kritisch, weil es mir nicht wie eine Therapie vorkommt. Wir reden eigentlich nur. Sie stellt sehr wenige Fragen, ich rede sehr (sehr) viel. Jeder Termin hat ein grobes Thema, man merkt, dass alles einem irgendwie bereits vorhandenen Schema folgt (“Heute möchte ich mit Ihnen über Ihre Schulzeit reden”). Teilweise bereite ich mich auf die nächsten Termine vor (“damit ich weiß, was ich erzählen will und die Kontrolle behalte”). Bringt nichts. Eigentlich jeder Termin ist traurig und anstrengend.
Therapie tut gut, aber es hat alles seine Ecken und Kanten. Weil Therapeut*innen in Deutschland absolute Mangelware sind, werde ich am Ende 4 verschiedene Therapeutinnen in 2 Kurzzeittherapien (24 Sitzungen) kennenlernen. Die Therapie ist vorbei, aber so richtig geil is’ es immer noch nicht. Das merke ich ein paar Monate später.
Im Oktober 2024 wende ich mich an das Ahrensburger Hospiz. Ich rufe an und sage: “Fischer mein Name, ich glaube ich benötige Hilfe beim Traurigsein”. Die Reaktion darauf ist professionell und überraschend. Ich bin nicht der einzige, der in der Situation ist. Es geht recht schnell, bis ich einen regelmäßigen Termin mit einem Trauerbegleiter habe. Er stellt wenige Fragen, die genau ins Schwarze treffen. Es ist unglaublich anstrengend, aber befreiend. Im Februar 2025 bin ich soweit, dass ich Das Thema Trauerbegleitung mit gutem Gefühl aus eigenem Antrieb beende.
Geht jetzt wieder.
Was hier nur zwischen den Zeilen steht: Den Einschlag, den diese Nummer auf eine Beziehung haben kann. Ich kenne meine Frau seit etwa 6 Jahren. Die Hälfte der Zeit war ich ein wandelndes nervliches Wrack.
Es gibt einen Grund, warum ich das aufschreibe. Das ist derselbe Grund, warum, ich jedem, der das hören will (oder auch nicht) erzähle, dass ich eine Therapie gemacht habe: Es hilft. Es gibt Leute in meinem Bekanntenkreis, die es als Schwäche ansehen, wenn man sich als Mann therapeutische Hilfe sucht. Fuck ’em. Noch so ein Jahr hätte ich nicht durchgestanden (<- that’s serious stuff). Und wenn das alles, das ganze Gerede und Geschreibsel nur dafür sorgt, dass ein einziger Mensch darüber nachdenkt, sich helfen zu lassen, is’ es genau richtig.
You don’t give up. You fuckin’ do NOT give up. It pays off.